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Grundfragen, wie man als Gesellschaft zum Schienenverkehr steht

20. Oktober 2019 08:51
Vielen Dank für Deinen ausführlichen Beitrag. Ich denke, er zeigt genau das Dilemma auf, in dem wir uns als Gesellschaft befinden. Auch, aber bei weitem nicht nur, was die Eisenbahn angeht.

Thema Streckenbelastung und Auslastung:
Ich werfe die beiden Punkte durchaus mit Absicht durcheinander. Zum einen, weil bei zurückgehender Nachfrage tatsächlich die Gefahr von Abbestellungen steigt. Zum anderen, weil bei Belegung einer Strecke mit je einem RE und einer RB pro Stunde und Richtung es natürlich in der Praxis sehr wohl über die Art der Durchführung der Baumaßnahmen mitentscheidet, ob das jeweils nur ein RS1 mit wenigen Beförderungsfällen ist (vielleicht weil die anderen potentiellen Fahrgäste wegen ständiger Fahrplanabweichungen doch lieber wieder mit dem Pkw unterwegs sind) oder ob das z.B. wirklich voll besetzte Züge mit 6 Dosto sind. Solange das dem realen Fahrgastpotential entspricht, ist das ja immer noch OK. Aber ich habe schon von Aufgabenträgern öffentlich die Klage gehört, daß sie mit viel Mühe erfolgreich mehr Leute von der Straße auf die Schiene gelockt haben, und dann kam die nächste Vollsperrung, welche die gestiegene Nachfrage gleich wieder zunichte gemacht hat, obwohl ein Bauen unter rollendem Rad (z.B. gemäß der Erfahrung von früher oder aus anderen mitteleuropäischen Staaten) sehr wohl möglich gewesen wäre. So wird das dann nichts mit der Verkehrswende. Und so wird das auch nichts mit dem Deutschlandtakt.

Thema Sicherheit:
Natürlich hat die Eisenbahn zurecht einen hohen Anspruch an die Sicherheit. Und daher kann und darf der einzelne Verantwortliche keinen Eisenbahnbetrieb durchführen, wenn er die Sicherheit aufgrund der geltenden Vorschriften und Rahmenbedingungen nicht gewährleisten kann. Und wenn der Chef zum kleinen Planer bei DB Netz sagt, „halte bei Baumaßnahmen die für uns geltenden Vorgaben der Versicherungen ein, sonst bekommen wir nach Unfällen Ärger, im Zweifel planst Du besser Vollsperrung“, dann wird er das natürlich tun. Wie soll er in dieser Rolle auf die Fahrgäste Rücksicht nehmen, die dann deswegen in den noch weit unsichereren SEV oder eigenen Pkw steigen müssen. Aber die gesamte Gesellschaft muß sich fragen: Sind wir noch auf dem richtigen Weg oder lähmen wir uns zunehmend selbst, weil wir zum einen bei bestimmten Dingen immer mehr Sicherheit wollen und immer kompliziertere Vorschriften hervorbringen, aber zum anderen - weil sich gleichzeitig andere Rahmenbedingungen leider immer mehr verschlechtern - dann überhaupt nicht mehr in der Lage sind, unter diesen Bedingungen unsere üblichen Systeme überhaupt noch verlässlich am Laufen zu halten?

Wenn ich auf 1980 oder 1990 verweise, dann nicht ohne Grund. Warum wurde bei den beiden deutschen Staatsbahnen damals bevorzugt unter rollendem Rad gebaut:
- die Bundesbahn war zwar damals schon unterfinanziert und nicht mehr der Hauptverkehrsträger, aber sie hatte noch einen gewissen ernsthaften Anspruch an sich als verlässliches und planbares Verkehrsmittel. Einfach mal so die Hufe heben und sagen, wir sperren auch wichtigere Strecken für ein paar Wochen komplett und verweisen auf den Bus, das entsprach definitiv nicht dem Anspruch
- die Reichsbahn konnte zusätzlich auch gar nicht anders, als irgendwie unter dem rollenden Rad zu bauen, denn der Straßenverkehr war extrem unterentwickelt und konnte die Bahn gar nicht ersetzen, auch nicht für kurze Zeit
Beide Aspekte sind heute weitgehend entfallen. Und wie soll eine Eisenbahn heute noch einen gemeinsamen Anspruch an sich haben, wenn man sie in hundert Stücke mit jeweils eigenen unternehmerischen Zielen zersplittert hat?

Bestes Beispiel, wohin wir heute als Gesellschaft und Staat unterwegs sind, ist für mich immer noch der neue Flughafen BER. Deutschland hat mit die höchsten Brandschutz- und Baubestimmungen und es gab Gründe dafür, diese einzuführen. Und ein Verantwortlicher wird immer sagen: Wenn die Vorgaben nicht erfüllt werden, dann darf ich den Betrieb des Flughafens nicht genehmigen. Soweit auch korrekt, aber wir sind uns doch glaube ich alle einig, daß die Situation am BER nicht normal ist und wir uns als führendes Industrieland damit zum Gespött machen. Es gilt also, nach den tieferen Ursachen zu forschen.

Und wenn Du mich fragst, wie sollen wir bauen: Der Blick zu den Nachbarn schadet hier wahrlich nicht. Das Beispiel mit dem TGV passt ideal. Das Bauen in nächtlichen Sperrpausen kostet natürlich mehr und ist aufwendiger, aber der Fahrgast nimmt den TGV als verlässliches und planbares Verkehrsmittel wahr, das er permanent ohne Probleme nutzen kann. Würde man dagegen eine oder zwei Wochen eine Vollsperrung am Ort A machen, um schnell fertig zu sein. Und dann nochmal zwei Wochen am Ort B, wovon zufällig der gleiche Fahrgast betroffen ist, mit großen Umleitungen oder SEV. Dann ist das für den Fahrgast schon kein verlässliches Verkehrsmittel mehr. Dann muß er sich in dieser Zeit nach Alternativen umsehen, die dann vielleicht zum Dauerzustand werden. Ihr müsst bedenken, daß die Bahn auch viele beruflich nutzen, und der Chef erwartet eben pünktliches Erscheinen. In der Schweiz konnte ich mehrfach erleben, wie man auch auf untergeordneten Strecken in nächtlichen Sperrpausen gebaut hat. Denn die Bahn ist dort noch immer ein wichtiges und gesellschaftlich hoch anerkanntes Verkehrsmittel und da kann und will man nicht einfach darauf verzichten, auch nicht wenige Wochen im Jahr.

Gruß
223 061



Edit:
Eine Frage noch. War die folgende Aussage eigentlich ironisch gemeint? ????

EP3/5 schrieb:
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> Weil auch Züge ohne Auslastung die Strecke belasten.
> Einen Teufelskreis ergibt es aber erst dann
> wenn der Besteller entscheidet aufgrund der
> geringen Auslastung weniger Züge zu bestellen.


Ich frage deswegen, weil man an verantwortlicher Stelle vermutlich durchaus eine solche - betriebswirtschaftlich eingeschränkte - Sichtweise vorfinden kann. Das wäre aber Wasser auf meine Mühlen. Denn eine Eisenbahn muß als Gesamtsystem volkswirtschaftliche Ziele verfolgen, nämlich möglichst viele Güter und Personen mit wenig Ressourcenverbrauch zu transportieren. Wenn das unternehmerisch zerklüftete Eisenbahnwesen heute überwiegend dadurch bestimmt wird, wer bei wem wieviel bestellt und wer bei wem wieviel Umsatz generiert, während die eigentlichen Kunden, also Fahrgäste und Güterkunden vom Blickwinkel her weitgehend außen vor sind, dann kann es nicht funktionieren, weder aus volkswirtschaftlicher, noch aus marktwirtschaftlicher Sicht.



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 20.10.19 10:20.
Thema Autor Klicks Datum/Zeit

Was zum Nordabschnitt der KBS 855 (Weiden-Hof) im Fahrplan 2020

dirkstrobel 1795 19. Oktober 2019 11:54

Das sind jedoch alles nur Peanuts im Vergleich zu dem ...

223 061 1127 19. Oktober 2019 14:18

Re: Das sind jedoch alles nur Peanuts im Vergleich zu dem ...

dirkstrobel 1107 19. Oktober 2019 16:16

Re: Das sind jedoch alles nur Peanuts im Vergleich zu dem ...

223 061 1077 19. Oktober 2019 17:14

Gleise werden doch nicht zu Spaß gesperrt...

EP3/5 1086 19. Oktober 2019 16:58

Habe ich das behauptet?

223 061 997 19. Oktober 2019 17:31

Nein, hast Du nicht...

EP3/5 955 19. Oktober 2019 23:40

Grundfragen, wie man als Gesellschaft zum Schienenverkehr steht

223 061 943 20. Oktober 2019 08:51

Das hat nix mit dem System "Bahn" zu tun...

mitleser 811 24. Oktober 2019 07:28

Re: Das hat nix mit dem System "Bahn" zu tun...

223 061 776 24. Oktober 2019 19:20



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