02. Mai 2020 09:31
Jetzt von einem wach geküssten Dornröschen zu sprechen wäre naiv und unglaubwürdig. Der Patient hatte den kleinen Finger gerührt – nicht weniger, nicht mehr. Und es sollte noch viele geduldige Prinzen brauchen, bis endlich wieder etwas wie ein Puls zu spüren war.

Zunächst vergingen weitere zwei Jahre, ehe ich am 13. August 2009 wahrlich zufällig als einer dieser vielen Prinzen hinzustieß. Und der Grund war – ironischerweise – mein neues Auto ;-) Am selben Tag gekauft und angemeldet - den alten, dessen Dach sich schon um fünf Zentimeter nach innen wölbte, nachdem ich es im Dieselparadies jahrelang als Staffelei-Ersatz missbraucht hatte, prämienprämiert abgewrackt – führte mich meine Einweihungsfahrt wie von Geisterhand gesteuert über den Waldkirchener Bahnhof. Und was sah ich da?


Eben wurde der kürzlich per Tieflader eingetroffene Skl fahrbereit gemacht – was zum?!? Unter den Gesichtern auch ein guter Bekannter meiner Eltern, den ich gleich mal auf den Sinn des Aufsattelns ansprach. Ja, man wollte raus auf die Freyunger Seite – zum ersten Mal – um die Strecke freizuschneiden. Ich sofort heim, Arbeitsklamotten geholt und zwei Stunden später war die Strecke bis zum „Loboübergang“ - genau dort wo ich im April 2001 noch den letzten Zug bei Sonne geknipst hatte, gangbar gemacht. Als ich später daheim aus meinem nagelneuen Auto ausstieg, der ganze vordere Sitzbereich voll mit Blättern, kleinen Ästen, Brombeerdornen, undefinierbaren Minikriechtieren und Sägespänen durchfuhr mich ein kurzer Schauer – ich kann heut aber nicht mehr sagen ob positiver oder negativer Art. Eins war klar: an eine baldige Reaktivierung glaubte ich selbst da immer noch nicht, ich fand es einfach nur mega, auf einem Schienenfahrzeug nochmal ein paar Meter auf meiner Bahn ausgeritten zu sein...


Der Anfang war aber gemacht - die Prinzen waren unterwegs und sie waren nicht mehr zu stoppen. Auch nicht vom Anblick der „Dornenhecke“, den sie am nächsten Tag bei Arbeitsbeginn genießen durften. Irgendwie sah das am Vorabend im Halbdunkel etwas weniger Napalm fordernd aus. Trotzdem, auch wenn ich mich wiederhole: Schon allein die kurz Fahrt auf einem Schienenfahrzeug, die ersten wenigen hundert Meter seit vielen Jahren, waren der reinste Genuss an diesen beiden Tagen.


Im Laufe der nächsten Wochen wurden wir professionell aufgerüstet – die technische Unterstützung war auch bitter nötig, sieht man mal allein, was die Vegetation in nur acht Jahren mit meiner einstigen Lieblingsstelle bei Mayersäge (vgl. erster Teil) angerichtet hatte. Und diese S-Kurve lag einst auf freier Flur inmitten von Wiesen – kaum vorstellbar, wie es weiter im Wald drin aussah...


Nach genau einem Monat, am sehr späten Abend des 12. Septembers 2009, erreichten wir mit dem Skl trotzdem erstmals Freyung. Zurecht nicht ganz ohne Stolz lässt sich unser damaliger Koordinator Sepp Kolmer am Skl lehnend fotografieren. Die oberen 12 Kilometer der Ilztalbahn waren also wieder passierbar. Passierbar! Mehr nicht. Trotzdem ein großer Erfolg und Motivation genug, unserem Wachkomapatienten auch weiterhin die Hand zu streicheln und auf ein Lächeln zu warten.


Mit Anbruch der laublosen Jahreszeit waren noch diverse Arbeiten fällig, die aufwändigste davon war die Reparatur dieses Hangrutsches im Wald vor Karlsbach. Ganz häufig damals mit dabei Karl Jonas (auf dem Skl), Max Reidl, Otto Draxinger und Sepp Kolmer.


Sieht so primitiv aus, aber schwereres Gerät hatten die Erbauer um 1890 rum auch nicht...


Der „Winter“ wurde aber auch vor allem genutzt, um sich in die andere Richtung der Strecke – nach Passau hinunter – vorzukämpfen. Auf dem kümmerlichen Rest dessen, was sich einst der Fürstenecker Bahnhof nannte, gab es an der Wolfsteiner Ohe einen weiteren Dammrutsch zu reparieren, wie man vor dem Skl gut sieht. Da war das Reinigen der Spurrillen am heutigen Tag schon fast wie Urlaub.


Vor Kalteneck war dann mal wieder motorisierte Hilfe nötig – zu unserer Horizonterweiterung war das Gleis hier mal nicht unter- sondern überspült worden.


Trotzdem noch genug anstrengende Drecksarbeit für unsere damalige Stammtruppe...


Am schönsten fand ich persönlich die Holzbohlenausbesserungen auf den Brücken. Saubere Arbeit, nicht zu anstrengend, das frische Holz roch herrlich, der Osterbach plätscherte unter uns und...


… die Locations für die kostenlose Brotzeit waren stets exklusiv.


Auch die Ilzbrücke bei Fischhaus wurde gründlich ausgebessert.


Keine Brückenarbeiten – nein, das erste Mal wollten wir heute von Passau aus mit der Köf Richtung Stadtrand fahren. Man hat das Fragezeichen vom Stellwerk runter direkt riechen können, als wir uns als Bauzug auf die Freyunger Strecke meldeten... ;-) Damit es mehr Spaß machte, wurden gleich mal vier Güterwagen angehängt. Ein erstes kleines Highlight, so lokbespannt... Man sieht, der Winter war im Mai 2010 längst vorbei und das Gras stand nach der Brücke schon einen halben Meter hoch im Gleis. Mit Mühe, aber schließlich erfolgreich schafften wir es bis zum ominösen Kilometer 5,7. Warum ominös? Warum nicht weiter? Wir werden sehen...


Es gab so viele Momente, die mich bis heute zum Schmunzeln bringen: Die beiden Herren links im Bild sind keine unserer Leute. Als Karl und ich kurz vor Beginn der WM 2010 mal wieder Richtung Freyung aufbrechen wollten um kleinere Arbeiten zu erledigen, fiel uns schon der exotisch geparkte britische(!) Lkw am Bahnhof auf. Es dauerte nicht lange, da stiegen die beiden jungen englischen Trucker ab – warum sie hier gestrandet waren weiß ich heut ehrlich gesagt gar nicht mehr – und nach einem kurzen Ratsch wollten sie unbedingt mit auf unsere Strecke. Hätte man mir im April 2001 mal gesagt, ich würde mich auf der Ilztalbahn eines Tages noch mit einem Briten über die WM in Südafrika unterhalten...


Lustig war es auch in Fischhaus, als Karl mit einem Grinsen quer übers Gesicht nur noch rief 'No brakes, no brakes!'


An den langen Sommerabenden 2010 ging es heiß her entlang der Strecke, als sämtliche Signaltafeln abmontiert wurden, um dann am Bahnhof Waldkirchen entweder wiederaufbereitet oder ersetzt zu werden.


Am ehemals für einige Jahre östlichsten Haltepunkt der BRD, Mayersäge, waren wenige Tage später bereits neue Tafeln gesetzt. Eine wirklich ekelhafte Arbeit war das Vermessen der Gleislage nicht, solang alles im Rahmen war. Das Ersetzen der Unterlegblättchen (den genauen Begriff weiß ich leider nicht mehr) an jeder Schwelle hingegen schon...


Ende Juli tauchte dann im Passauer Stadtteil Hacklberg dieses dezente Hinweisschild am Fußballplatz unterhalb der Bahnlinie auf. Was das wohl zu bedeuten hatte?


Am 9. August mal nachgesehen, war auf besagtem Waldweg tatsächlich ein Bagger auszumachen. Nur was wollte der da unten? Und was hatte der mit der Ilztalbahn zu tun? Um 90 Grad gedreht ergab sich vom selben Standpunkt am Kilometer 5,7 aus...


… dieser verstörend wirkende Anblick. Nun, da fehlte also auch ein wenig Erde am Damm. Was aus diesem Blickwinkel aber eher nach einer Bagatelle aussah, ...


… entpuppte sich in Wahrheit als der Stilllegungsgrund der Strecke im Jahr 2002. Jetzt ist auch klar, wieso die Fahrt mit der Köf vor einigen Wochen hier endete. Nun galt es, den Durchblick (auch finanziell) zu bewahren.

Die folgenden Bilder, alle entstanden in der Woche nach dem 9. August, sollen kommentarlos die Reparaturarbeiten dokumentieren:











Natürlich kam der kaputte Damm nicht überraschend, wir wussten davon von Anfang an – trotzdem stellte er eine letzte große Herausforderung dar, wollte man die Strecke einen Monat später befahren.


Chronologisch etwas aus der Reihe fällt nun dieses Bild vom Oktober 2011 (also nur gut ein Jahr später), das spontan bei einer Radtour entstanden ist. Es soll einfach nur zeigen, wie schnell buchstäblich Gras über eine Sache wachsen kann.


Parallel zu unserer Großbaustelle am Kilometer 5,7 liefen auch am anderen Ende der Strecke die Restarbeiten auf Hochtouren. Seit genau einem Jahr waren wir nun auf den Gleisen unterwegs, und sollte es mit der Premiere am 11. September 2010 klappen, mussten noch...


… diverse Baggerarbeiten, ...


… Schotterarbeiten im Bahnhof und...


… konsequenter Weise auch auf der Strecke, …


… Mörtelarbeiten an den zahlreichen Stützmauern und …


… natürlich auch Häckselarbeiten erledigt werden.

Doch dann war es soweit – Anfang September 2010 wurde der Streckenabschnitt Waldkirchen – Freyung vom EBA abgenommen und galt nun wieder als offizielle Bahnlinie. So stand unserer Wiedereröffnung nichts mehr im Wege.


Am Vorabend der Überführungsfahrt zweier Waldbahnshuttles nach Waldkirchen, wir schreiben den 9. September 2010, gab es mit dem Skl nochmal eine Kontrollfahrt nach Passau. Natürlich musste am jüngst fertiggestellten Damm für ein Foto gehalten werden.


Eines muss ich heute rückblickend klar sagen: So genial die folgenden Jahre auf diversen großen Schienenfahrzeugen werden sollten – nichts kommt vom Flair her ran, an die abendlichen Heimfahrten nach Waldkirchen draußen auf dem Skl sitzend die laue Sommerluft der Jahre 2009 bis 2012 genießend.

Fortsetzung folgt...
Thema Autor Klicks Datum/Zeit

10 Jahre "neue" ILZTALBAHN - Teil 1: Das Ende unter der DB

Ilztalbahner 3035 02. Mai 2020 09:30

Re: 10 Jahre "neue" ILZTALBAHN - Teil 2: Die Arbeitszüge der Jahre 2009/2010

Ilztalbahner 1226 02. Mai 2020 09:31

Re: 10 Jahre "neue" ILZTALBAHN - Teil 3: Die Wiedereröffnungen der Jahre 2010 und 2011

Ilztalbahner 1185 02. Mai 2020 09:32

Re: 10 Jahre "neue" ILZTALBAHN - Teil 4: Die Jahre 2012 und 2013

Ilztalbahner 1283 02. Mai 2020 09:33

Re: 10 Jahre "neue" ILZTALBAHN - Teil 5: Die Jahre 2014 und 2015

Ilztalbahner 1274 02. Mai 2020 09:34

Re: 10 Jahre "neue" ILZTALBAHN - Teil 6: Das Jahr 2016

Ilztalbahner 1057 02. Mai 2020 09:35

Re: 10 Jahre "neue" ILZTALBAHN - Teil 7: Das Jahr 2017

Ilztalbahner 1076 02. Mai 2020 09:36

Re: 10 Jahre "neue" ILZTALBAHN - Teil 8: Die Jahre 2018 - 2020

Ilztalbahner 1429 02. Mai 2020 09:36

Re: 10 Jahre "neue" ILZTALBAHN - Teil 8: Die Jahre 2018 - 2020

Regentalbahner 1059 02. Mai 2020 16:07

Re: 10 Jahre "neue" ILZTALBAHN - Teil 8: Die Jahre 2018 - 2020

bahnfisch 881 02. Mai 2020 17:07

Re: 10 Jahre "neue" ILZTALBAHN - Teil 8: Die Jahre 2018 - 2020

403 945 02. Mai 2020 17:23

Re: 10 Jahre "neue" ILZTALBAHN - Teil 8: Die Jahre 2018 - 2020

V90-Fahrer 917 02. Mai 2020 17:27

Re: 10 Jahre "neue" ILZTALBAHN - Teil 8: Die Jahre 2018 - 2020

Thomas Stifter 980 02. Mai 2020 18:07

Re: 10 Jahre "neue" ILZTALBAHN - Teil 8: Die Jahre 2018 - 2020

Falkensteiner Bockerl 893 02. Mai 2020 19:21

Re: 10 Jahre "neue" ILZTALBAHN - Teil 8: Die Jahre 2018 - 2020

korridor 1000 02. Mai 2020 19:30

Re: 10 Jahre "neue" ILZTALBAHN - Teil 8: Die Jahre 2018 - 2020

Bernecker 824 04. Mai 2020 08:44

Grandios!

JimKnopff 847 04. Mai 2020 16:41

Re: 10 Jahre "neue" ILZTALBAHN - Teil 8: Die Jahre 2018 - 2020

gsl 765 11. Mai 2020 21:43

Re: 10 Jahre "neue" ILZTALBAHN - Teil 8: Die Jahre 2018 - 2020

Martin Pfeifer 708 19. Mai 2020 22:30

Sammelantwort

Ilztalbahner 1003 04. Mai 2020 19:02

Re: Sammelantwort

KBS-973 775 05. Mai 2020 17:56

Re: Sammelantwort

Falkensteiner Bockerl 739 05. Mai 2020 18:47

Re: Sammelantwort

bahnfisch 813 05. Mai 2020 18:56

Re: Sammelantwort

Falkensteiner Bockerl 804 05. Mai 2020 19:33

Re: 10 Jahre "neue" ILZTALBAHN - Teil 1: Das Ende unter der DB

Arzberger 750 14. Mai 2020 22:58



In diesem Forum dürfen leider nur registrierte Teilnehmer schreiben.

Klicke hier, um Dich einzuloggen